Nautilus: Muscheln, Schnecken und Mollusken in der Fotografie der Moderne
Das Interesse der Menschheit an Muschelschalen und Schneckengehäusen geht bis in frühkulturelle Zeiten zurück und hat in der Kulturgeschichte viele Spuren hinterlassen, nicht zuletzt in der Bildenden Kunst. Die Alfred Ehrhardt Stiftung greift aus dieser Traditionslinie einen besonders markanten Abschnitt heraus, bei dem sich naturwissenschaftliche und künstlerische Sichtweisen begegnen: Muscheln, Schnecken und Mollusken in der Fotografie der Moderne.
In einem historischen Rückblick wird die Geschichte des Sammelns und Erforschens der Schalentiere zunächst anhand von noch grafisch illustrierten Druckwerken veranschaulicht. Mit der Erfindung der Fotografie ergab sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine neue Möglichkeit der wissenschaftlichen Dokumentation, für die gerade auch Muscheln und Schnecken als Motive dienten. Eine besondere Stellung nahm dabei die Röntgenfotografie ein, die Einblicke in die innere Struktur der Schalentiere eröffnete.
Erst in den zwanziger Jahren wurden Muscheln und Schnecken zum Bildthema einer nun künstlerisch autonomen Fotografie. Naturphilosophische und neusachliche Aspekte spielten dabei ebenso eine Rolle wie die vermeintliche Vorbildfunktion dieser „Bauformen der Natur“ für Architektur und Design. Am Beginn steht ein 1923 erschienenes, damals viel beachtetes Themenheft der holländischen Avantgarde-Zeitschrift „Wendingen“ (1923) mit Muschel- und Schneckenfotografien von Bernard Eilers und J. B. Polak. In den USA schuf Edward Weston mit seinen Muschelaufnahmen wenig später Ikonen der Fotomoderne, die 1929 auch auf der einflussreichen Ausstellung „Film und Foto“ in Stuttgart zu sehen waren. Seine Aufnahme „Nautilus“ (1927) zählt heute zu den teuersten Fotos überhaupt. Unter den amerikanischen Fotografen haben sich auch Edward Steichen, Imogen Cunningham, Walker Evans, Paul Outerbridge und Ruth Bernhard kreativ mit Muscheln und Schnecken beschäftigt.
Im deutschsprachigen Raum sind verschiedene Vertreter der sachlichen Fotografie durch Aufnahmen von Muscheln und Schnecken hervorgetreten − von Ernst Fuhrmann über Aenne Mosbacher bis Arvid Gutschow. Eine Besonderheit bilden dabei die erst kürzlich wiederentdeckten Fotos des Hamburger Architekten und Fotografen Fritz Block. Hinzu kommen entsprechende Aufnahmen aus Archiven von Presseagenturen und Museumssammlungen. Einen Höhepunkt schließlich stellen die Aufnahmen dar, die Alfred Ehrhardt für sein Buch „Muscheln und Schnecken“ (1941) gemacht hat. Eine gänzlich andere Sicht auf diese Naturobjekte vermitteln dagegen Beispiele der Fotografie des Surrealismus.
Die Ausstellung schließt mit einem Ausblick auf fotografische Positionen, die sich nach 1945 auf unterschiedliche Weise mit dem Bildthema „Muscheln und Schnecken“ auseinander-gesetzt haben – von Josef Sudek über Werner Bischof bis Wolfgang Strache, von Andreas Feininger über Herman Landshoff bis Robert Mapplethorpe. Berücksichtigt werden zudem Beiträge, die sich bewusst auf die Bildtradition der neusachlichen Fotografie der zwanziger Jahre beziehen, als auch neueste technische Entwicklungen wie die Neutronenradiografie. Ausgeklammert bleiben allerdings die zahllosen Aufnahmen von Muscheln und Schnecken, die lediglich für naturkundliche Bestimmungsbücher oder für rein dekorative Zwecke entstehen.
In der Ausstellung werden neben Originalfotografien auch reale Muschel- und Schneckenobjekte aus Museumssammlungen sowie einschlägige Druckbelege aus den Bereichen Fotobuch und illustrierte Presse präsentiert. Durch das Thema und seine Darstellungsweise soll zugleich dem gewachsenen Interesse von Publikum und Forschung am wissenschaftlichen Bild, also der fruchtbaren Wechselbeziehung zwischen Naturkunde und Fotografie Rechnung getragen werden.
Nach der Erstpräsentation im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg ist die Ausstellung „Nautilus“ vom 8. Oktober bis zum 30. Dezember in der Kunsthalle Erfurt zu sehen. Anschließend wird die Ausstellung in Berlin in den Stiftungsräumen der Alfred Ehrhardt Stiftung präsentiert.
Die Ausstellung wird von der Alfred Ehrhardt Stiftung in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Kai Uwe Schierz (Erfurt) und Prof. Dr. Rainer Stamm (Oldenburg) kuratiert und der Katalog von der Alfred Ehrhardt Stiftung erstellt.
Konzept der Ausstellung: Dr. Roland Jaeger