Winzige Leinwände, quadratisch, bemalt mit buntschimmerndem Lack, reliefartiger Farbauftrag in der Bildmitte; alles nur Untergrund für präzise in Öl verewigte Zuneigung anzeigende Messenger-Sticker in Form von »Umarmenden Haien«, »Lovebirds« und einem »Faultier mit Kissen«1. Es ist viel Liebe, Emotion und Cuteness zu entdecken auf den Bildern von Götz Sophie Schramm. Ihre Motive findet die Maler*in nicht nur im Repertoire der Handy-App Telegram. Die unendlichen Weiten des Internets mit seinen Imageboards, Social-Media-Netzwerken und Suchmaschinen als Gedächtnis für die gesammelten Errungenschaften des menschlichen Daseins beschäftigen die Künstler*in und ihre Malereien seit geraumer Zeit. Und so halten Memes, popkulturelle Verweise aus Musik, Film und Fernsehen sowie Bildzitate aus der Kunstgeschichte Einzug in ihre Werke. Es sind pointiert zusammengefügte Versatzstücke, die sich mit unserem zuweilen toxischen Zeitgeschehen auseinandersetzen. Schramm formuliert darin malerische Gegenentwürfe, anhand derer Hass, Diskriminierung und emotionale Kälte durch Liebe, Respekt und Verbundenheit ersetzt werden sollen.
Götz Sophie Schramm wurde 1983 geboren, ist somit Teil der Generation Y oder auch Millennials genannt. Der Ausstellungstitel <3 OK Boomer <3 bezieht sich auf deren Eltern-Generation, den sogenannten Baby-Boomern, geboren zwischen 1950 und 1964. In ihrer Solo-Ausstellung weist Schramm dezidiert auf verletzende Verhaltensphänomene hin, die unter dem Begriff »toxische Männlichkeit« ihren Platz in der öffentlichen Debatte gefunden haben, und bezieht dazu Stellung aus intersektional-feministischer2 Perspektive. Doch anstatt Konflikte zu schüren, sollen die Bilder Brücken bauen. Also kein Bashing, kein Shaming, keine Grabenkämpfe zwischen den Generationen, stattdessen Handreichen, Verständnis sowie Aufklärungs- und Bildungsarbeit. Es bedarf daher einem jener Grundanliegen, für die von der Person und der Werkschau sensibilisiert werden soll: Allyship, gelebte Solidarität und aktives Verbünden mit weniger privilegierten Menschen und Gruppen.
Ein vielschichtiges Unterfangen, das auf vielen Ebenen Parallelen zu den Malereien von Götz Sophie Schramm anbietet. Sei es inhaltlich, über die notwendige Dekodierung der vielen Zeichen, Symbole oder Memes Stück für Stück den Gehalt der Bilder herauszuschälen. Oder technisch, wenn es darum geht, die verschiedenen Malstile – teilweise in einer einzigen Arbeit bis zu drei – Schicht für Schicht voneinander zu unterscheiden, als dann sich dicke, pastose Farbaufträge mit dünnen lasierenden und metallisch irisierend Maltechniken abwechseln. Dieser aufwändigen handwerklichen Umsetzung steht zuvor allerdings ein anderer Prozess im Laufe der Kompositionsentstehung voran. Schramm entwickelt einige ihrer Bilder zunächst im Digitalen, also dort wo sie oftmals ihren Ursprung haben. Im Bildbearbeitungsprogramm wird Ebene um Ebene angelegt, bevor die Gesamtkomposition ihre analoge Umsetzung mit dem Pinsel auf Leinwand erfährt. Ein nur scheinbar einseitiger Transformationsprozess vom Computergenerierten zum Handgemachten, verweisen die Bildinhalte doch so stark auf ihren Ursprung in der Netzwelt, dass deren gedankliche Rückführung in jene Welt unvermeidlich ist. Wenn es der kognitiven Rückführung nicht sogar ein Foto wird, das über Social-Media geteilt wieder eingespeist und erneut zur Quelle gelangt.
Bei aller Komplexität der collagenhaft zusammengeführten Einzelteile lässt die Maler*in die Betrachter*innen nicht damit allein. Denn wem die Dekodierung nicht gelingt, wem die Verweise fremd und die Zitate nicht geläufig sind, der findet eine Hilfestellung über die Werktitel und kann in Windeseile mittels der jederzeit zugänglichen, digital-enzyklopädischen Nachhilfe selbst für den AHA-Effekt sorgen, vermeintliche Wissenslücken schließen und Sinnzusammenhänge herstellen.
Hilfreich sind die ausführlichen Werktitel beispielsweise dann, wenn unterschiedliche Memes zu einem neuen rekombiniert werden, wie zu sehen in der großformatigen, speziell für die Ausstellung entwickelten Arbeit COMMUNION. THE FEMALE SEARCH FOR LOVE (Titel bell hooks, Meme Comedy Cemetery, Chrome Offline-Dinosaurier, Queere*r FLINTA* Doomer auf Lichttunnel Farbverlauf). Auf einer Fläche von 1,70 Meter mal 2,60 Meter arrangiert die Künstler*in auf der linken Bildhälfte ein Meme, worin Millennial, Boomer und Generation X und Z intergenerationale Misskommunikation betreiben, während auf der rechten Bildhälfte eine nicht-binäre Person mit Zügen eines Künstler*innenselbstporträts und Google Chromes verpixelter Offline-Dinosaurier zu sehen sind. Die Entscheidung, diese eklektisch nebeneinander gesetzten Motive, dieser Bild-im-Bild-Teppiche ist vergleichbar mit der weithin geläufigen Praxis von »Internetsuchen«, bei denen die Browserleiste Tab um Tab, Webseite um Webseite anwächst, nur um sich am Ende nicht mehr daran erinnern zu können, wer oder was den ursprünglichen Impuls und die endlose Aneinanderreihung von Hirnströmen ausgelöst haben mag. Aber erst an diesem Punkt, wenn die nebeneinanderstehenden Bildelemente keine eindeutige Lesart oder Interpretation zulassen, ist sich die Künstler*in gewiss, dass das Werk abgeschlossen ist, dass es gut ist.
Tauchen wir auf aus dem Versinken in die dominierend violett gehaltenen Leinwände und deren inhaltlich mannigfach aufgeladenen Motiven, finden wir uns wieder in der Dichotomie zwischen streitbaren Figuren wie Goethe, Beuys, Gagosian oder Protagonisten der Reality-Serie American Chopper und den empfindsamen Sympathieträgern wie Grogu, umgangssprachlich als Baby Yoda bekannt, und den eingangs erwähnten niedlichen Tierstickern. Und bei aller Belustigung und Erheiterung, die wir beim Betrachten von Memes und Phänomenen der Internet- und Popkultur empfinden mögen, schwelen doch die wahren und teils traurigen Geschichten hinter den aus ihrem Kontext gerissenen modernen Erzählikonen: Gewalt, Rücksichtslosigkeit und Schmerz. Es gilt eine sensibilisierte Haltung gegenüber toxischen Verhaltensmustern in unserer Gegenwart zu entwickeln. Denn wie mahnend und weise wusste Meister Yoda bereits zu sagen: »Viel zu Lernen du noch hast.«
Fußnoten
1 FÜR ALICE (Selbstformulierter Titel, Telegramsticker: Faultier mit Kissen, Lovebirds, Umarmende Haie), Öl auf irisierendem Lack und Leinen, jeweils 15 x 15 cm, 2021-2022.
2 Intersektionaler Feminismus denkt die Angriffsflächen für Diskriminierung und Benachteiligung wie Geschlecht, Alter, Herkunft, Hautfarbe, Körperkonstitution usw. zusammen und zeigt die Möglichkeit multi-faktorieller Ausgrenzung auf.