Schlosskinder
Zweifellos gilt das spätbarocke Schloss Molsdorf unter den Thüringer Schlössern als architektonisches Kleinod von großer kunst- und kulturgeschichtlicher Bedeutung. Das war jedoch nicht immer so.
Nach 1945 interessierte die Geschichte des Hauses die sowjetischen Besatzer nur insofern, als dass sie möglichst getilgt werden sollte und zwar im wahrsten Wortsinn. Während das benachbarte Gut Stedten dem Befehl 209 der Sowjetischen Militäradministration folgend zum Abbruch für die „Gewinnung von Baumaterial für Neubauern“ freigegeben wurde, konnte Schloss Molsdorf allerdings gerettet werden: Von 1951 bis 1958 war das Kinderheim Rosa Luxemburg in einigen Bereichen des Hauses untergebracht.
Über die Geschichte des Heims wiederum war bislang wenig bekannt. Zum einen sind damit sehr persönlich-individuelle Erinnerungen oder eben Einzelschicksale verknüpft, die sich in keinerlei herkömmlicher Archivakte verzeichnet finden. Zum anderen gelten heute längst wieder denkmalpflegerisch-konservatorische Kriterien, was die Erhaltung, Rekonstruktion und Restaurierung des historischen Schlosses anbelangt. Dafür stellt die Zeit des wichtigsten Schlossbesitzers und -bauherren, Gustav Adolf von Gotter, die verbindliche Referenzebene dar.
Doch gerade jene schwierigen Jahre nach 1945 waren für die Historie des Hauses im Sinne seiner grundsätzlichen Erhaltung so bedeutend. Noch dazu sollten neben den bekanntesten historischen Schlossbewohnern wie Gotter und Maria Gräfin Gneisenau auch die vielen „kleinen von einst“ einmal Beachtung erfahren. Über ihre persönlichen Biografien hinaus sind sie auch Zeitzeugen eines nicht unwichtigen, komplexen Kapitels deutsch-deutscher Nachkriegsgeschichte.
Auf einen Aufruf in der Lokalpresse vom 10. Januar 2017 hin meldeten sich etliche ehemalige große (damals Erzieherinnen) und kleine (damals ca. drei- bis sechsjährige Kinder) Schlossbewohnerinnen und -bewohner. Schon die Telefonate mit ihnen verdeutlichten das enorme Bedürfnis des (Sich-) Mitteilens und des (Sich-) Erinnerns sowie nach Information und Öffentlichkeit.
So war der Plan für eine Ausstellung im heutigen Molsdorfer Schlossmuseum schnell gefasst, auch oder gerade weil sich die Erinnerungen der einstigen Kinder als nur schemen- und lückenhaft erwiesen. Etliche Fotografien einer damals kleinen Heimbewohnerin und ein komplettes Album einer einstigen Erzieherin bieten jetzt all denen visuelle Gedankenstützen und somit eine Vorstellung von jener Zeit, die sowohl mittel- wie unmittelbar „Betroffene“ als auch allgemein Interessierte sind. Ferner konnte mit dem Schweizer Mats Stab ein ausgewiesener Erinnerungskünstler gewonnen werden, dessen schlichte wie anrührende Videoarbeit die Erinnerungen von fünf ehemaligen Erzieherinnen nicht nur dauerhaft einfängt. Diese Videoarbeit ist auch in der Ausstellung unmittelbar zu erleben und bietet somit allen Besuchern die Möglichkeit, über das Schicksal der Schlosskinder und ihrer Betreuerinnen auch die eigene Kindheit und Jugend, das Verhältnis zu den Eltern und zum Leben – unter vielleicht nicht immer einfachen, angenehmen und wünschenswerten Umständen – zu reflektieren.
Mittels einer sorgsam gestalteten Begleitpublikation kann das Fotoalbum der Erzieherin Margot Steinbrück zudem dankenswerter Weise als partieller Reprint zuvorderst all jenen dauerhaft in die Hand gegeben werden, die selbst keine Fotos aus jener Zeit besitzen, sich aber gern mittels dieser „verorten“ und erinnern möchten. Natürlich steht das Buch auch allen anderen Interessierten zur Verfügung und dient der Information über Geschichte und Leben im Kinderheim Rosa Luxemburg wie der Dokumentation des künstlerischen Langzeitprojektes „Schlosskinder“.