Alice Nikitinová – Visual Conversation
Die Kunsthalle Erfurt präsentiert die erste umfassende Werkschau der 1979 in Žatec geborenen und in Prag lebenden Künstlerin in Deutschland. Etwa 50 Gemälde und Objekte aus den vergangenen 10 Jahren werden in der von Silke Opitz kuratierten Ausstellung zu sehen sein.
Die Absage an die klassische Malerei ist alles andere als neu. Deshalb mögen Nikitinovás Gemälde zunächst an das Bauhaus und De Stijl, an den abstrakten Expressionismus und die Farbfeldmalerei, an Gebrauchsgrafik und Plakatkunst im Allgemeinen und im Besonderen an die Pop Art erinnern – allesamt künstlerische Strömungen des Westens. Dass dieser kunstgeschichtliche Kanon des frühen bis mittleren 20. Jahrhunderts auch für den europäischen Osten der Nachkriegszeit trotz staatlich verordneter anderweitiger Kunstrichtung interessant bis verbindlich blieb, belegen etliche Positionen der tschechoslowakischen Kunst.
Etwas davon mag Nikitinová über die Arbeiten ihres Lehrers an der Akademie der bildenden Künste in Prag, Jiři Sopko, noch erreicht haben. Ihr Alltag einschließlich ihrer künstlerischen Ausbildung gestaltete sich jedoch anders als jener der vorherigen Generation. Konsum und Werbung hatten längst Einzug gehalten, und man konnte sich auch von Osten her frei durch die Welt bewegen, hier und da Kunst studieren oder Künstleraufenthalte absolvieren. Es ließe sich nur darüber spekulieren, ob Nikitinová aufgrund ihrer Herkunft diese schöne neue Welt der Dinge und der wiederum verheißungsvollen Zeichen irgendwie besonders wahrgenommen hat oder wahrnimmt.
Fakt ist, dass diese Welt uns alle tagtäglich umgibt.
Nikitinová mag mit ihren Arbeiten durchaus eine Dechiffrierung visueller Zeichen betreiben. So entdeckt sie häufig ihre Bildgegenstände in vorhandenen Hinweisschildern im öffentlichen, auch urbanen Raum. Jedoch betreibt die Künstlerin keine "peinture trouvé", denn sie stellt nicht die vorgefundenen Schilder aus. Stattdessen überträgt sie diese in Malerei. Als Bildgegenstände von Gemälden vermitteln jene Tafeln und Aufsteller keine eindeutigen Botschaften mehr, deren (Nicht-) Beachtung Folgen hätte. Die zweckbefreiten oder auch entmachteten Zeichen sind zur reinen Malerei geworden, und für den zeichensprachkundigen Betrachter vielleicht zu Vexierbildern.
Generell geht es der Künstlerin wohl weniger um eine (verborgene) Botschaft, die sich aus der Beziehung von Bildgegenstand und seiner allgemein gültigen oder allgemein symbolischen Bedeutung ergibt. Malerei scheint für Nikitinová im eigentlichen Sinne Oberfläche und Struktur zu sein, durch welche sich die Oberfläche und Struktur der Gegenstände potenzieren und Realraumverhältnisse einebnen lassen. Jedoch ist ihre Malerei im Duktus nie maschinengleich. Sie imitiert kein technoides Rastern oder Scannen. Stets ist die Hand der Künstlerin erkennbar. Im Mittelpunkt ihres Tuns steht das für die Malerei zentrale "Problem" des Verhältnisses von Fläche und Raum. Hierfür werden gleichermaßen sachliche wie spielerisch-humorvolle Lösungen gefunden. Nikitinová nutzt ihr Medium, um die Wahrnehmung des Betrachters zu fordern und zu foppen.
Vom Menschen an sich bleiben in der schönen neuen Welt der malerischen Zeichen die Arbeitskleidung oder der Mantel – nicht als Hüllen, sondern als Oberflächen. In welcher Hinsicht das zeitgemäß ist, kann jeder selbst entscheiden.
In der Erfurter Ausstellung korrespondiert zum einen das "hauseigene Bildprogramm" – die Beschilderung und Ausstattung der wiedereröffneten Kunsthalle aus funktionalen und im Besonderen aus Sicherheits- beziehungsweise Brandschutzgründen – mit ausgewählten Arbeiten Nikitinovás. Zudem sind ihre Werke in Dialog untereinander arrangiert. Vor allem aber schließt Visual Conversation im Sinne der visuellen Unterhaltung und des Austauschs den Betrachter und seine Bildassoziationen ein.