Der Heckelraum im Angermuseum

Foto: Erich Heckel-Raum „Lebensstufen“, 1922-1924 Foto: © Angermuseum Erfurt, D. Urban

Auf Anregung von Museumsdirektor Walter Kaesbach und mit der finanziellen Unterstützung des Erfurter Schuhfabrikanten Alfred Hess malte Erich Heckel (1883-1970) von 1922 bis 1924 den kleinen, hochgewölbten Erdgeschossraum im Angermuseum aus.

Die Wandmalereien sind von einzigartigem Rang: Nicht nur handelt es sich um die wichtigsten erhaltenen Wandbilder des deutschen Expressionismus, sondern sie sind auch die einzig erhaltenen Erich Heckels.

Ein Thema war Heckel nicht vorgegeben. Von der Größe der Aufgabe angeregt, schuf der knapp vierzigjährige Künstler ein gewaltiges Lebenspanorama, das die Summe seiner bisherigen geistigen und künstlerischen Entwicklung zog.

Der nachträgliche Titel Lebensstufen lässt die allgemeine inhaltliche Bedeutung der Wandbilder anklingen, die in einer Gegenüberstellung der Welt des Mannes mit der Welt der Frau dargelegt wird. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich ein überraschend vielschichtiges und weitreichendes Programm.

Nach Heckels eigener Aussage entstand das Werk auf der Basis „der einstigen Künstlergemeinschaft und neuer menschlicher Gemeinschaft“, womit den Dresdner Malerbund „Brücke", dessen Mitbegründer er war, und sein neues geistiges Umfeld am Rande des Berliner George-Kreises gemeint sind.

Die Malereien lassen ein gleichermaßen umfassendes wie persönliches Weltbild erstehen, das auch als Zeitdokument hochinteressant ist.

Seit Juli 2024 haben Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, die Kunstwerke digital an einem Infoterminal zu erschließen und mehr über den Künstler und die Entstehungsgeschichte der Wandbilder zu erfahren.

Kurzer Überblick über die Geschichte des Heckelraums

Als Walter Kaesbach im Februar 1920 das Amt des Direktors am Städtischen Museum Erfurt antrat, war er 40 Jahre alt, brachte jedoch aus Berlin, wo er seit 1907 an der Nationalgalerie gearbeitet hatte, zahlreiche persönliche und freundschaftliche Kontakte zu bildenden Künstlern mit. Sein Vorgänger im Amt, Edwin Redslob, hatte von 1912 bis 1920 im 1. Obergeschoss des Museums, das sich im ehemals Kurmainzischen Pack- und Waagehof befand, eine Galerie deutscher Landschaftskunst vom 18. bis zum 20. Jahrhundert aufgebaut. Bereits unter der nebenamtlichen Leitung des Museums durch den Erfurter Stadtarchivar Alfred Overmann waren im Erdgeschoss ausgewählte Werke aus der Sammlung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Kunst dauerhaft präsentiert worden.

Walter Kaesbach ließ die große Halle im Erdgeschoss von Einbauten befreien und richtete dort eine neue Ausstellung mittelalterlicher Kunst ein. Der damals üblichen Auffassung von einer engen stilistischen Traditionsbeziehung zwischen der Kunst der Gotik und des zeitgenössischen Expressionismus folgend, plante Kaesbach, in unmittelbarer räumlicher Nähe zu dieser neu eingerichteten Ausstellung eine expressionistische Wandmalerei in Auftrag zu geben. Für die finanzielle Absicherung des Projektes sorgte der Erfurter Schuhfabrikant und Kunstmäzen Alfred Hess. Das Kriegserlebnis hatte bei Hess einen Wandel seiner politischen und ästhetischen Einstellungen bewirkt. Seit 1919 luden er und seine Frau Thekla Künstler, Kunsthistoriker, Galeristen, Dichter und Musiker in sein Haus ein, welches er mit zahlreichen Werken der expressionistischen Kunst ausstattete. Unter den mehrfach Eingeladenen war auch Erich Heckel. Kaesbach kannte Heckel seit den 1910er Jahren sehr gut; Alfred Hess von zahlreichen Besuchen in Berlin. Im Herbst 1921 erhielt Erich Heckel von Walter Kaesbach den Auftrag, einen kleinen, gewölbten Raum im Erdgeschoss des Städtischen Museums Erfurt mit Wandbildern auszumalen.

Im Februar 1922 logierte Heckel eine Woche lang als Gast im Hause Hess, um technische Fragen des Auftrags zu klären. Ende Mai traf er erneut in Erfurt ein, um anschließend vier Wochen lang mit intensiver Arbeit an den Wandbildern zu verbringen. Erst im Frühjahr 1923 arbeitete Heckel erneut in dem Raum und konnte die Wandbilder nahezu vollenden. Am 15. Juni 1923 tagte der Museumsausschuss unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters Dr. Bruno Mann; das Protokoll vermerkt die „Besichtigung des von Erich Heckel ausgemalten Raumes im Erdgeschoss des Museums“. Der Oberbürgermeister sprach bei dieser Gelegenheit dem Direktor seine Anerkennung aus, weil „das Museum dank Künstler und Museumsdirektor diesen einzigartigen Zuwachs ohne Kosten für die Stadt erhalten hat.“ Man beschloss, dem Künstler ein Dankschreiben zugehen zu lassen. Am 16. Juni 1923 wurde der Raum feierlich der Öffentlichkeit übergeben. Erich Heckel weilte in jenen Tagen auf der Nordseeinsel Sylt. Doch die Arbeit an den Wandbildern war noch gar nicht abgeschlossen, die Malerei nicht vollendet. Zugleich wurden erste konservatorische Probleme offenbar.

Der Raum ist für Wandbilder in Secco-Technik eigentlich ungeeignet. Er ist nicht unterkellert, das Mauerwerk nicht horizontal gegen eindringende Feuchtigkeit aus dem Boden und von außen gesperrt. So führte aufsteigende Feuchtigkeit schon zwischen den einzelnen Malkampagnen immer wieder zu Salpeterausblühungen und Verlusten der Putzschicht. Das von Heckel als Bindemittel benutzte Kasein veränderte sich je nach Feuchtigkeitsgehalt ständig; im Laufe der Zeit löste es sich teilweise auf und ließ die Malerei pulverisiert zurück. Ganze Partien der Malerei lösten sich auf diese Weise schollenartig vom Untergrund. Der Maluntergrund, das Raumklima und die Maltechnik bewirkten also schon während der Entstehungsphase einen schrittweisen Verfall der Wandbilder.

Im Januar 1924 reiste Erich Heckel erneut nach Erfurt, um letzte Teile der Malerei zu vollenden und zugleich erneut schadhafte Stellen auszubessern. Nach ersten Maßnahmen zur Trockenlegung des Raumes 1927 fasste der Museumsdirektor Herbert Kunze 1930 die grundlegende Restaurierung der Sockelzone von Heckels Wandbildern ins Auge. Denn die baulichen Isolierungsmaßnahmen schienen zu wirken. Im Jahr 1931 malte Heckel die zerstörten Partien der Wandbilder – vor allem in der Sockelzone – neu. Gleichzeitig zeigte der Erfurter Kunstverein eine Heckel-Ausstellung.

Nachdem man im September 1937 in der Propaganda-Aktion „Entartete Kunst“ im Städtischen Museum rund 1.000 Werle der modernen Kunst beschlagnahmt hatte, wurde auch der Direktor Herbert Kunze seines Amtes enthoben. Ihm wurde ein Hausverbot ausgesprochen. Die nunmehr amtierende Leiterin des Museums, Magdalena Rudolf, ließ den Zugang zum Heckelraum mit einer Wand verstellen und postierte vor dieser eine spätmittelalterliche Skulptur des Erzengels Gabriel. Auf diese Weise unzugänglich, überdauerten die Wandbilder die Zeit bis zum Ende des Krieges. Danach zeigte sich jedoch, dass die aufgrund der mangelnden Luftzirkulation erneut aufsteigende Feuchtigkeit die Malereien der Sockelzone fast vollständig zerstört hatte. Trotz dieser Verluste entschloss sich Herbert Kunze, seit 1945 wieder im Amt des Direktors, im Oktober 1948 zur Wiedereröffnung des Raumes. Zu einer bereits 1946 von Heckel erwogenen Neufassung der Sockelzone kam es leider nicht mehr.

1980 begann eine Gruppe von Restauratoren unter der Leitung des Erfurter Instituts für Denkmalpflege mit umfangreichen Untersuchungen und Konservierungsarbeiten. Wieder wurden Maßnahmen zur Stabilisierung des Raumklimas eingeleitet. Der Restaurator Albert Hornemann setzte die Konservierungsarbeiten an den Wandbildern fort und konnte sie bis 1986 abschließen. Der kleinteilige Sockelfries wurde nicht rekonstruiert. Man stellte fest, dass die natürliche Alterung der Secco-Malerei und das korrosionsbedingte Abpulvern der oberen Malereischicht zu einer Minderung der ursprünglich vorhandenen Farbintensität der Wandbilder geführt hatten.

Zum Inhalt seiner Wandbilder äußerte sich Erich Heckel selbst nie direkt. Bereits 1923 hatte er jedoch in einem Brief an Max Sauerlandt geschrieben: „Ich glaube, Sie haben sehr richtig gefühlt, daß dies Werk auf breiterer Basis als der eines individuellen Temperaments gewachsen ist, auf der der einstigen Künstlergemeinschaft und neuer menschlicher Gemeinschaft. Ob der Raum leben zeugen wird, was allein das Vorgestellte zum Kunstwerk macht, muss die Zukunft zeigen.“

Quelle:

Mechthild Lucke, Andreas Hüneke: Erich Heckel. Lebensstufen. Die Wandbilder im Angermuseum Erfurt, Dresden 1992, S. 9-24.